
Pflichtwidriges Fehlverhalten am Arbeitsplatz - Was Beschäftigten droht, was zu tun ist
Das Erwerbsleben gestaltet sich auf Grund der Vielzahl von zu beachtenden Vorschriften und Regelungen zusehend schwieriger. Arbeitnehmer und Arbeitgeber befinden sich in einem wachsenden „Dickicht“ aus gesetzlichen Vorgaben und Verboten, deren ggf. (nur) fahrlässige Missachtung neben arbeitsrechtlichen Konsequenzen auch ordnungsrechtliche und/oder strafrechtliche Folgen nach sich ziehen kann.
Droht eine Ermahnung, eine Abmahnung oder eine Kündigung?
Meist stehen Abmahnungen und/oder ordentliche, verhaltensbedingte und ggf. sogar außerordentliche, d.h. fristlose Kündigungen im Raum; in der Folge drohen Arbeitsplatz- und Existenzverluste. Nicht selten geraten Arbeitnehmer durch berechtigte oder unberechtigte Anschuldigungen in eine persönliche Notsituation, welche eine taktisch ausgerichtete Beratung und Vertretung auf unterschiedlichen rechtlichen Ebenen erforderlich macht.
Steht eine Anhörung an?
Dies gilt namentlich bei einem arbeitgeberseitig eingeleiteten Anhörungsverfahren (Einladung zum Personalgespräch), welches bei aufkommenden Vorwürfen aus Sicht des Arbeitgebers zur Sachverhaltsaufklärung beitragen und ggfls. eine sogenannte Verdachtskündigung vorbereiten soll. Gleichzeitig kann, bei strafrechtlich relevantem Verhalten, eine Vorladung oder Anhörung durch die zuständige Staatsanwaltschaft bzw. die Kriminalpolizei im Raum stehen. Wenn es zum Auffinden von Beweismitteln geboten ist, kommt möglicherweise auch eine Hausdurchsuchung nebst einer Beschlagnahmeanordnung bezüglich der Wohnräume und des (Firmen-)PKW in Betracht.
Vorgehen bei Einleitung eines Anhörungsverfahrens
Der Umgang mit der jeweiligen Maßnahme kann unterschiedlich ausfallen: Während gegenüber den Ermittlungsbehörden (insbesondere der Staatsanwaltschaft) die Berufung auf das Schweigerecht des Beschuldigten nebst Akteneinsichtsgesuch in der Regel das Mittel der ersten Wahl ist, kann bei Anberaumung eines Personalgesprächs durch den Arbeitgeber ein anderes Vorgehen geboten sein. In Betracht kommt hier häufig eine vorbereitete Teilnahme im Beistand eines Betriebsratsmitglieds oder die Begleitung durch einen Rechtsanwalt als Vertrauensperson.
Rechtliche Gefahrenbereiche
Die am Arbeitsplatz relevanten Straftaten ranken sich um klassische Vermögensdelikte, wie Diebstahl (§ 242 des Strafgesetzbuchs - StGB), Betrug (§ 263 StGB), Untreue (§ 266 StGB) etc., nebst Steuer- (§ 370 der Abgabenordnung - AO und § 378 AO) und Insolvenzstraftaten (§ 15a der Insolvenzordnung - InsO) sowie Geldwäsche (§ 261 StGB) und Geheimnisverrat. Letzterem hat der Gesetzgeber kürzlich ein eigenes Gesetz gewidmet (Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen - GeschGehG).
In der technologisierten Arbeitswelt spielen Computer- und Internetkriminalität eine zunehmende Rolle. Immer häufiger stehen datenschutzrechtliche Vorwürfe (Datenschutzgrundverordnung – DSGVO und Bundesdatenschutzgesetz - BDSG) im Raum, wobei sich Gefahren insbesondere aus dem Umgang mit der sogenannten „social media“ (Internet, E-Mail, WhatsApp, Facebook, Twitter, Instagram, TikTok usw.) ergeben.
Schließlich gilt es den unternehmensinternen Verhaltenscodex (code of conduct) bzw. entsprechende Complaince-Vorgaben zu beachten, welche häufig im Zusammenhang mit verbal oder körperlich übergriffigem (sog. grenzüberschreitenden) Verhalten stehen. Strafrechtlich bewegt man sich dann im Bereich Beleidung (§ 185 StGB), üble Nachrede (§ 186 StGB) oder Verleumdung (§ 185 StGB), bis hin zur Körperverletzung (§ 223 StGB) und sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung (177 StGB).
Einschlägige Gerichtsentscheidungen zu diesem Thema:
Fristlose Kündigung wegen sexueller Belästigung trotz langjähriger Betriebszugehörigkeit
Nach einer Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin vom 06.09.2023 (Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 06.09.2023 – 22 Ca 1097/23) kann eine fristlose Kündigung wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz auch bei langjähriger Betriebszugehörigkeit gerechtfertigt sein. Der betroffene Arbeitnehmer war seit 19 Jahren im öffentlichen Dienst des Bundes beschäftigt, so dass sein Arbeitsverhältnis gem. § 34 Abs. 2 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD) nur aus wichtigem Grund gekündigt werden konnte. Die Arbeitgeberseite hatte eine fristlose Kündigung gegen den Angestellten ausgesprochen, weil er die nackten Brüste einer Kollegin berührt hatte. Weil die Kollegin über Rückenschmerzen klagte, bot der Mitarbeiter an, ihren Rücken abzutasten. Zu diesem Zweck wurde der BH geöffnet und die Oberkleidung hochgeschoben. Nach der Aussage der Kollegin soll der Mitarbeiter dann plötzlich seine Hände unter ihren BH geschoben und auf ihre Brüste gelegt haben. Die Einlassung des gekündigten Klägers im Kündigungsschutzverfahren, es habe sich um ein versehentliches seitliches Berühren gehandelt, wurde als Schutzbehauptung eingestuft. Nach Auffassung des Arbeitsgerichts Berlin sei eine vorherige Abmahnung wegen der Schwere der Pflichtverletzung entbehrlich gewesen. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.
Fristlose Kündigung wegen Äußerungen in privater Chatgruppe
Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 24.08.2023 (BAG, Urteil vom 24.08.2023 – 2 AZR 17/23) gelten bezüglich der prozessualen Verwertbarkeit von Äußerungen in privaten Chatgruppen unter Beschäftigten (offensichtlich) neue Grundsätze. Der betroffene Arbeitnehmer hatte sich in einer aus sieben Mitgliedern bestehenden Chatgruppe über Vorgesetzte und andere Kollegen in einer offensichtlich extremen Art und Weise geäußert. Es ging um stark beleidigende, rassistische, sexistische und zur Gewalt aufstachelnde Äußerungen, welche der Arbeitgeber zum Anlass einer fristlosen Kündigung nahm. Nach Auffassung des BAG konnte der betroffene Mitarbeiter wegen der Schwere der Äußerungen und ihrer Auswirkungen auf den Persönlichkeitsschutz nicht mit einer Vertraulichkeit der Kommunikation rechnen. Der gekündigte Mitarbeiter müsse in derartigen Fallkonstellationen besondere Umstände darlegen, weshalb er berechtigterweise erwarten konnte, dass der Inhalt der Äußerungen von keinem Mitglied der Gruppe an Außenstehende weitergegeben werde (Die Entscheidung existiert bisher nur als Pressemitteilung) .
Personenbedingte Kündigung wegen Beschimpfung und Verächtlichmachung des staatlichen Arbeitgebers
Das LAG München hatte sich in einer Entscheidung (LAG München, Urteil vom 18.07.2023 – 7 Sa 71/23) mit einer im öffentlichen Dienst des Freistaats Bayern im Anwendungsbereich des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Beschäftigten „Referentin für Rundgangführungen in der KZ-Gedenkstätte Dachau“ zu befassen. Der Dienstherr hatte das Arbeitsverhältnis wegen Zweifeln an der Verfassungstreue der Mitarbeitenden gekündigt. Zu den Aufgaben der Referentin gehörte es u.a. im Rahmen von Rundgängen die Besucher über die historischen Abläufe aufzuklären und über das Lagerleben und das Schicksal der Häftlinge zu berichten. Kündigungsanlass waren Auftritte der Klägerin im Rahmen der „Anti-Corona-Bewegung“ in deren Verlauf sie sich als Rednerin gegenüber ca. 3.000 Teilnehmern unter anderem wie folgt äußerte: „Wir habens hier mit der schärfsten Faschisierung im Staat und Gesellschaft zu tun. Seit der Gründung der Bundesrepublik. [...] Und ihr seht die Ignoranz dieses Staates, dieses reaktionär faschistoiden Staates, der meint, er kann sich abschütteln“. Die Referentin wurde zum Personalgespräch geladen, angehört und im Anschluss mit sofortiger Wirkung freigestellt und ordentlich gekündigt. Die erhobene Kündigungsschutzklage blieb in beiden Instanzen erfolglos. Die Kündigung war als personenbedingte Kündigung gerechtfertigt, weil die Äußerungen einen Eignungsmangel durch Beschimpfung und Verächtlichmachung des Staates (BAG, Urteil vom 06.09.2012 – 2 AZR 372/11) offenbart hätte. Die Tätigkeit der Klägerin in der KZ-Gedenkstätte in Dachau und ihre Aufgabe, die dortigen Besucher zu betreuen und aufzuklären, lasse es nicht zu, durch Äußerungen den staatlichen Arbeitgeber mit einem Faschistenstaat gleichzustellen. Die Geisteshaltung der Klägerin und die damit einhergehende Herabwürdigung der Demokratie stehe nicht im Einklang mit § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L (die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig).
Kündigung wegen Arbeitszeitbetrugs mittels Erkenntnissen aus offener Videoüberwachung
Das Bundesarbeitsgericht hatte sich in einer Entscheidung vom 29.06.2023 (BAG, Urteil vom 29.06.2023 – 2 AZR 296/22) mit der Frage zu befassen, inwieweit aus einer datenschutzrechtlich unzulässigen Videoüberwachung ggfls. ein prozessuales Verwertungsverbot folgen kann. Der Entscheidung liegt eine fristlose, hilfsweise fristgemäß ausgesprochene Kündigung wegen Arbeitszeitbetrugs zugrunde, welche auf die Auswertung einer Videosequenz gestützt wurde, die aus einer am Werkstor angebrachten Überwachungskamera stammte. Hier war zu erkennen, dass der betroffene Mitarbeiter an einem Arbeitstag, den er sich von seinem Arbeitgeber hatte vergüten lassen, zwar zunächst kurz das Werksgelände betreten; dieses aber umgehend noch vor Schichtbeginn wieder verlassen hatte. Die Vorinstanzen ließen die Videosequenzen nicht als Beweismittel zu, so dass der Kündigungsschutzklage zunächst stattgegeben wurde. Das Bundesarbeitsgericht hat das Verfahren zur abschließenden Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen mit dem Hinweis, dass die Verwertung der betroffenen Videosequenz (personenbezogene Daten im Sinne der Datenschutzgrundverordnung – DSGVO) nicht ausgeschlossen sei. Es bestehe grundsätzlich kein Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot in Bezug auf Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung, die ein vorsätzliches vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers wiedergebe. Dies gelte auch dann, wenn die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers nicht in jeder Hinsicht mit den Vorgaben der einschlägigen Datenschutzbestimmungen im Einklang stehe.
Fristlose Kündigung wegen diffamierender und bloßstellender Äußerungen über den Arbeitgeber
Das Landesarbeitsgericht Thüringen (Thüringer LAG, Urteil vom 19.04.2023 – 4 Sa 269/22) hatte sich mit der Frage zu befassen, inwieweit kritische Äußerungen über den eigenen Arbeitgeber noch von der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) gedeckt sein können und wann der zulässige Bereich überschritten und somit eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt ist. Der gekündigte Mitarbeiter war als Therapeut in einer Klinik beschäftigt und verbreitete verschiedene kritische Äußerungen unter anderem über das Internet. Es war von untragbaren Zuständen im Umgang mit Patienten die Rede. Der betroffene Mitarbeiter bezeichnete seinen Arbeitgeber als „Fachklinik für Bossing & Mobbing inkl. Verleumdungen und Datenschutzverletzungen“. Die Kündigungsschutzklage wurde abgewiesen. Das LAG hielt die außerordentliche Kündigung des Arbeitsvertrages für rechtmäßig und stellte klar, dass auch am Arbeitsplatz grundsätzlich Meinungsfreiheit herrsche. Arbeitnehmer, die über ihren Arbeitgeber Missstände publik machen wollen, seien aber dazu verpflichtet, die Tatsachen, die öffentlich gemacht werden sollen, zunächst selbst einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen, bevor man damit an die Öffentlichkeit gehen dürfe (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 16.02.2021 – 23922/19). Diese Vorgaben hatte der gekündigte Arbeiter nicht beachtet. Nach den Ausführungen des LAG sind öffentliche diffamierende und bloßstellende Äußerungen über den eigenen Arbeitgeber, welche von einer aggressiven und feindlichen Haltung diesem gegenüber geprägt sind, nicht mehr vom Recht auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt.
Außerordentliche Kündigung aufgrund einer Strafverfahrenseröffnung
Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.10.2012 (BAG, Urteil vom 25.10.2012 – 2 AZR 700/11) liegt der Fall eines im öffentlichen Schuldienst beschäftigten Lehrers zu Grunde, der nach Anklageerhebung durch die zuständige Staatsanwaltschaft wegen Vornahme sexueller Handlungen an einer Person unter 14 Jahren vom Dienst suspendiert und im Anschluss außerordentlich gekündigt wurde. Im Rahmen der Anhörung äußerte der beschuldigte Lehrer gegenüber dem Arbeitgeber, dass wegen der mangelnden Glaubwürdigkeit der einzigen Belastungszeugin – eines 8-jährigen Mädchens – mit der Eröffnung des Hauptverfahrens nicht zu rechnen sei. Die Arbeitgeberseite berief sich im Kündigungsschutzklageverfahren darauf, dass das erforderliche Vertrauen wegen der dem Kläger vorgeworfenen Straftat zerstört sei und stützte sich hierbei ausschließlich auf die Wertung der Staatsanwaltschaft. Die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Kläger wurde später mangels Glaubwürdigkeit der einzigen Zeugin abgelehnt. Das für den Kläger geführte Kündigungsschutzklageverfahren hatte im Ergebnis Erfolg. Zwar kann ein Verhalten, wie es dem Kläger vorgeworfen wurde, auch als außerdienstliches Verhalten einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen. Das beklagte Land hatte den Verdacht aber allein mit der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft, nebst der dieser zugrundeliegenden Beurteilung begründet und darüber hinaus keine weiteren Umstände vorgetragen bzw. bewiesen. Im Ergebnis war deshalb festzustellen, dass allein auf eine den dringenden Tatverdacht bejahende Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden eine rechtswirksame (Verdachts-)Kündigung nicht gestützt werden kann.
Marc Stenzel
Fachanwalt für Arbeitsrecht
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