
Die individuelle Lehrverpflichtung der Lehrenden an Universitäten und Fachhochschulen ist in den Bundesländern durch Verordnungen geregelt. In Nordrhein-Westfalen durch die Lehrverpflichtungsverordnung NRW (LVV NW) aus dem Jahr 2009. Als eine der ersten bzw. eine der einzigen Lehrverpflichtungsverordnungen sieht das Regelwerk für NRW im Ergebnis eine Deputatskontoführung vor, die eine Über- bzw. Unterschreitung der individuellen Lehrverpflichtung in einzelnen Semestern zulässt. Zunehmend streitig bzw. problematisch wird an den Hochschulen die Frage, wie mit einem "angesparten" (ggfls. überhohem) Deputats-Guthaben umzugehen ist.
Lehrverpflichtungsguthaben durch Deputatsüberschreitung: Ausgleichsanspruch?
Das Ergebnis ist für die Lehrenden frappierend:
Eine Ausgleichspflicht ergibt sich in den meisten Fällen nicht.
1. Sofern die betroffene Lehrkraft verbeamtet ist, kommen Ansprüche nach den beamtenrechtlichen Vorschriften der Länder in Betracht. So hatte sich mit dem Ergebnis einer richtungsweisenden Entscheidung das Verwaltungsgericht Bremen im Jahr 2021 mit einer entsprechenden Fallkonstellation befasst und verschiedene Anspruchsgrundlagen geprüft (VG Bremen, Urteil vom 27.10.2021 – 6 K 1464/20). Voraussetzung eines Ausgleichsanspruchs ist nach den beamtenrechtlichen Vorgaben eine angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit, die zudem einen bestimmten Umfang (oberhalb der regulären Dienst- bzw. Lehrverpflichtung) erreichen muss. Wenn die diesen Anforderungen genügende Mehrarbeit nicht durch Dienstbefreiung (zwingende dienstliche Gründe müssen entgegenstehen) „zurückgewährt“ werden kann, kommt unter noch weitergehenden Voraussetzungen unter Umständen eine Mehrarbeitsvergütung in Betracht. Eine vergleichbare Regelung des Bremer Falls findet sich auch in § 61 LBG NW für das Land Nordrhein-Westfalen. Die dortige Regelung verpflichtet die verbeamtete Lehrkraft ohne Ausgleich über ihre regelmäßige Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse dies erfordern. Erst wenn aufgrund einer dienstlichen Anordnung oder Genehmigung die Mehrarbeit mehr als 5 Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geht, ist innerhalb eines Jahres für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Mehrarbeit eine entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren. Ist auch dies aus zwingenden dienstlichen Gründen unmöglich, können Beamtinnen und Beamte statt der Dienstbefreiung für maximal 480 Stunden im Jahr eine Mehrarbeitsvergütung erhalten.
Ausgleich für Beamte nur bei ausdrücklicher Anordnung und ab Antragstellung
2. Das Bremer Verwaltungsgericht legt diese Regelung allerdings zunächst einmal nachteilig für die Lehrenden aus und leitet hier die zwingende Verpflichtung ab, über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus unentgeltlich Dienst zu tun, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse dies erfordern. Voraussetzung für spätere Ausgleichsansprüche (Freizeitgewährung oder Abgeltung) sei dabei eine vorherige schriftliche Anordnung.
Nach unseren Praxiserfahrungen ist eine derart förmliche Anordnung im Hochschulbetrieb untunlich und findet in der Regel nicht statt. Noch schwerer wiegt der Umstand, dass die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung einen finanziellen Ausgleich auch bei einer rechtswidrigen Heranziehung zu Mehrarbeit (im Hochschulbereich: Mehrlehre) ausschließlich dann vorsieht, wenn eine vorherige Antragstellung durch den Beamten (den Hochschullehrer) stattgefunden hat. Erst ab diesem Zeitpunkt könne erbrachte Mehrlehre überhaupt ausgleichspflichtig werden. Auch hier ergeben sich Schwierigkeiten, weil es bei über die Jahre angesparten Deputats-Guthaben, die sich jeweils von Semester zu Semester entwickeln in den seltensten Fällen ausdrückliche Anträge für einen finanziellen Ausgleich geben wird. Die Anforderungen der Rechtsprechung decken sich nicht mit unseren Praxiserfahrungen aus dem Zusammenspiel von Lehrveranstaltungsplanung und insbesondere der (erst) nachträglichen Einreichung und Abzeichnung von Lehrerhebungsbögen nach Abschluss des jeweiligen Semesters.
Ausgleich nach Hochschulrecht NRW nur bei vorheriger Zustimmung
3. In einem von unserer Kanzlei betreuten Verfahren einer Fachhochschule in Nordrhein-Westfalen vor dem Verwaltungsgericht in Münster gab es bezüglich dieser für die Lehrkräfte problematischen und schwierigen Fall-Konstellation klare Worte:
Der von uns vertretene Hochschulprofessor hatte über mehrere Jahre ein Deputats-Guthaben von 36 Semesterwochenstunden (SWS) „erarbeitet“. Die Lehrveranstaltungen waren jeweils im Vorfeld auf dem üblichen Weg mit dem Fachbereich und dem zuständigen Dekanat abgestimmt und geplant worden. Neben der Veröffentlichung in den hochschulinternen Veranstaltungsverzeichnissen erfolgte keine formelle Genehmigung der sich aus der Semesterwochenstundenplanung ergebenden Mehrlehre unseres Mandanten. Die Veranstaltungen wurden mit ihren Semesterwochenstunden und der jeweils sich rechnerisch ergebenden Mehrlehre in den jeweiligen Lehrerhebungsbögen vermerkt und vom Dekan abgezeichnet, wobei die über die Semester fortgeschriebenen Lehrerhebungsbögen auch das sich über die Jahre entwickelnde Deputats-Guthabensaldo in der jeweils verändernden Höhe auswiesen.
All dies reicht nach der Rechtsprechung nicht. Gemäß § 3 Abs. 8 LVV NW sei die „vorherige Zustimmung“ des Dekans erforderlich. § 3 Abs. 8 LVV NW verlange weder Schriftlichkeit der Zustimmung noch eine Anordnung der Über-/Unterschreitung durch den Dekan. Dem gegenüber reiche eine nachträgliche Genehmigung nicht aus. An einer solchen vorherigen Zustimmung fehle es. Insbesondere stelle die – unterstellte – Kenntnisnahme des Dekans bzw. seines Stellvertreters von der vom Kläger eingereichten Lehrveranstaltungsplanung keine Zustimmung zu einer beabsichtigen Überschreitung der individuellen Lehrverpflichtung dar. Der Berufung der beklagten Hochschule auf die fehlende vorherige Zustimmung dürfte auch nicht der Einwand von Treu und Glauben entgegenstehen, denn es stehe dem Kläger in Wahrnehmung seiner Unabhängigkeit in der Lehre frei, über sein individuelles Lehrdeputat hinaus auf freiwilliger Basis zusätzliche Lehre anzubieten.
Im Ergebnis sieht die Rechtsprechung also sämtliche Mehrlehre, die nicht nachweislich mit vorheriger Genehmigung des zuständigen Dekans im Sinne einer Überschreitung der individuellen Lehrverpflichtung erbracht wird, als freiwillige Leistung an, welche nicht in nachfolgenden Studienjahren zum Ausgleich gebracht werden kann. Im Gegenteil: Die Hochschulen haben nicht einmal die Möglichkeit, im Rahmen einer Ermessensabwägung erbrachte Mehrlehre „zurückzuerstatten“. Eine entsprechende gelebte Verwaltungspraxis der Hochschulen wäre rechtswidrig.
In dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Münster wurde nach den eindeutigen rechtlichen Hinweisen der zuständigen Kammer von einer streitigen Entscheidung abgesehen und eine anderweitige Verfahrensbeendigung herbeigeführt (Verwaltungsgericht Münster – 5 K 1594/21).
Im Ergebnis ist deshalb festzustellen, dass eine Überschreitung der individuellen Lehrverpflichtung nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung/Bestätigung durch den zuständigen Dekan zu empfehlen ist. Im besten Falle wird im Hinblick auf die Gefahr eines späteren Verfalls nach Zeitablauf angeraten, unmittelbar auch eine Regelung (schriftlich!) zum anschließenden Abbau der erbrachten Mehrlehre zu treffen.
Soweit Probleme bzw. rechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Mehrlehre, ihrem Ausgleich und ihrer etwaigen Abgeltung entstehen, ist aus unserer Sicht ein möglichst zeitnahes Handeln geboten. Dies insbesondere mit Blick auf die Erfordernisse einer Geltendmachung bzw. Antragstellung und/oder der Beachtung etwaiger Verfallfristen. In der Lehrverpflichtungsverordnung für das Land Nordrhein-Westfalen ist in § 3 Abs. 8 Satz 3 LVV NW geregelt, dass eine Überschreitung innerhalb der nach ihrem Entstehen folgenden 3 Studienjahren auszugleichen ist.
Marc Stenzel
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Speker Nierhaus Stenzel - Rechtsanwälte - Notar - Fachanwalt für Arbeitsrecht
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