Kein Ausschluss aus dem Bewerbungsverfahren bei Vorbeschäftigung (Art. 33 II GG)

lag nieder

Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 25.07.2022 – 4 SaGa 1178/21: Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat im Rahmen eines durch unsere Kanzlei geführten einstweiligen Verfügungsverfahrens festgestellt, dass ein Bewerbungskandidat im öffentlichen Dienst mit Vorbeschäftigungszeiten ohne eine ausdrückliche Einschränkung im Anforderungsprofil der Stellenausschreibung aus dem Bewerbungsverfahren nicht mit der Begründung ausgeschlossen werden darf, dass mit ihm aufgrund des gesetzlichen Vorbeschäftigungsverbots in § 14 Abs. 2 TzBfG kein wirksam befristetes Arbeitsverhältnis (mehr) geschlossen werden könne.

In dem entschiedenen Fall war die Klägerin zunächst auf Grundlage von mehreren befristeten Arbeitsverträgen während ihrer universitären Ausbildungen an einer Hochschule des Landes als Tutorin angestellt gewesen. Nach Abschluss ihres Hochschulstudiums der sozialen Arbeit bewarb sie sich auf eine befristet ausgeschriebene Stelle als sozialpädagogische Fachkraft für den Bereich der allgemeinbildenden Schulen des Landes und wurde nach zunächst erfolgter Zulassung zum Bewerberkreis im weiteren Verfahren nicht mehr berücksichtigt, weil sie aufgrund ihrer bereits vorausgegangenen befristeten Anstellung im Landesdienst „bewerbungsunfähig“ sei. Wegen der nach ihrer Auffassung unzulässigen Herausnahme aus dem Bewerberkreis wurde neben der Erhebung einer arbeitsgerichtlichen Klage auf Teilnahme am Auswahlverfahren der Erlass einer einstweiligen Verfügung zur vorläufigen Sicherung (Freihaltung) der ausgeschriebenen Stelle beim zuständigen Arbeitsgericht beantragt. Das Arbeitsgericht Osnabrück wies den Antrag der Klägerin in der 1. Instanz zurück. Die Entscheidung wurde vom Landesarbeitsgericht Hannover aufgehoben mit der Maßgabe, dass dem beklagten Land nunmehr bis auf Weiteres untersagt wurde, die betroffene Stelle endgültig anderweitig zu besetzen.

Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts konnte offenbleiben, ob eine Einschränkung des Bewerberkreises auf Personen, mit denen rechtssicher – auch unter Berücksichtigung von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG (sog. Vorbeschäftigungsverbot) – noch ein sachgrundlos befristetes Arbeitsverhältnis geschlossen werden kann, unter dem Gesichtspunkt des Prinzips der Bestenauslese (Artikel 33 Abs. 2 GG) überhaupt zulässig wäre. Bereits diese Frage wird in der Rechtsprechung kontrovers diskutiert (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.03.2013 – 15 SaGa 1738/12; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 18.03.2015 – 3 Sa 371/14; OVG NRW, Urteil vom 03.06.2007 – 6 B 48/07; LAG Hamm, Urteil vom 09.10.2008 – 17 Sa 927/08). Für die Klägerin wurde in dem vorliegenden Verfahren auch unter diesem Aspekt die Verletzung ihres Bewerbungsverfahrensanspruchs geltend gemacht.

Jedenfalls sei es nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts unzulässig (wie im vorliegenden Fall geschehen) erst nach Festlegung des Anforderungsprofils die Organisationsentscheidung zu treffen, Bewerber, die zuvor bereits in einem Arbeitsverhältnis zum betroffenen Land standen, aus dem Bewerberkreis herauszunehmen. Die Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Dienstherrn bei der Festlegung des Anforderungsprofils und der Eignungsmerkmale ergeben sich daraus, dass das Prinzip der „Bestenauslese“ für die zu besetzende Stelle gewährleistet werden soll. Die Festlegung des Anforderungsprofils muss deshalb im Hinblick auf die Anforderungen der zu besetzenden Stelle sachlich nachvollziehbar sein (BAG, Urteil vom 06.05.2014 – 9 AZR 724/12). Ein unter den Bedingungen des Art. 33 Abs. 2 GG in Gang gesetztes Auswahlverfahren darf nachträglichen Einschränkungen allerdings nur aus Gründen unterworfen werden, die den Anforderungen des Artikel 33 Abs. 2 GG gerecht werden (BVerwG, Beschluss vom 25.11.2004 – 2 C 17/03 –). Nach Auffassung des LAG Niedersachsen müssen damit, um dem Grundsatz der besten Auslese nach Art. 33 Abs. 2 GG gerecht zu werden, jedwede Bewerbungseinschränkungen – auch personenbezogene Einschränkungen – in eine Stellenausschreibung aufgenommen werden. Das vom öffentlichen Arbeitgeber geforderte Bewerberprofil strukturiere den Bewerberkreis, in dem es auch in persönlicher und nicht nur in fachlicher Hinsicht Qualifikationsanforderungen an Stellenbewerber beschreibt (BAG, Urteil vom 15.03.2005 – 9 AZR 142/04).

Mit dem vom Landesarbeitsgericht Niedersachsen festgestellten Ergebnis können sich auf befristete Stellen im öffentlichen Dienst also auch Kandidaten mit Vorbeschäftigungszeiten bewerben, wenn in der Ausschreibung kein ausdrücklicher Hinweis auf die Bewerbungsunfähigkeit wegen eines oder mehrerer bereits zuvor geschlossener Arbeitsverhältnisse enthalten ist. Die damit weiterhin noch offene Frage, inwieweit der Grundsatz der Bestenauslese gemäß Art. 33 Abs. 2 GG überhaupt Einschränkungen zu Lasten von Kandidaten mit Vorbeschäftigungszeiten zulässt, d.h. ob im öffentlichen Dienst „nur“ befristet ausgeschrieben werden darf und inwieweit ein möglicherweise entstehender Entfristungsanspruch zu einer Ablehnung des Bewerbers führen kann, bleibt der endgültigen Klärung durch die Rechtsprechung vorbehalten. Letzteres wird beispielsweise relevant, wenn aufgrund mehrjähriger Beschäftigung und einer Abfolge von Einzelverträgen der Tatbestand eines institutionellen Rechtsmissbrauchs (unzulässige Kettenbefristung) erfüllt sein kann.

Die Entwicklungen und den aktuellen Stand zum Thema Kettenbefristung haben wir in einem gesonderten Artikel dargestellt.

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Marc Stenzel
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Speker Nierhaus Stenzel - Rechtsanwälte - Notar - Fachanwalt für Arbeitsrecht

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© www.sns-anwaelte.de   Montag, 31. Oktober 2022 10:46 Stenzel
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